hr-iNFO Büchercheck: 89/90 von Peter Richter

hr-iNFO Büchercheck: 89/90 von Peter Richter

08.10.2015

„89/90“ von Peter Richter ist ein „Wenderoman“. Der Autor, inzwischen 42 Jahre alt, ist Zeitungsjournalist und arbeitet als Kulturkorrespondent in New York. Peter Richter hat die Wende und die Wiedervereinigung als Jugendlicher in Dresden erlebt. Seine Erinnerungen sind in seinen Roman eingeflossen.
hr-iNFO Bücherchecker Frank Statzner hat den Roman gelesen.

Worum geht es?
Ein jugendlicher Ich-Erzähler berichtet, was er erlebt hat. Ein erodierendes Land. Gut aussehende Mädchen verschwinden mit ihren Familien von heute auf morgen in den Westen. Wohnungen werden leer und gleich wieder okkupiert. Feten werden darin gefeiert. Die Staatsorgane verlieren sukzessive den Respekt der Menschen. Die Parade zum Jubiläum des maroden Staates gerät zur Realsatire. Aufruhr liegt in der Luft, Anarchie. Erst die Massenproteste, dann ein Volk ohne Orientierung. Die einen wollen leben wie im Westen und hängen an den Lippen Helmut Kohls, als der in Dresden auftritt. Andere wollen einen besseren Staat aus eigenen Wurzeln. Wieder andere nutzen das politische Vakuum, um lange unterdrückte politische Ansichten oder Ressentiments auszuleben. Konsequent tauscht der Ich-Erzähler sein Begrüßungsgeld wieder in Ostmark um. Aber die Gesellschaft sortiert sich neu.
Wie ist es geschrieben?
Peter Richter schildert uns die letzten Monate der DDR im Stil einer subjektiven Dokumentation. Er erzählt episodenhaft, chronologisch, anekdotenhaft. Ein Roman mit Wurzeln im Journalismus. Dabei ist dieses Buch überhaupt nicht akademisch. Im Gegenteil, es ist erzählend, auch sprachlich nah an den Protagonisten und es hat viel Witz und Ironie. Zum Beispiel, als die Polizei einen bekifften Mopedfahrer überprüft: „Er machte die Packung auf, schnupperte vorsichtig hinein, kramte zwischen den Tabakkrümeln das Heftchen mit dem Zigarettenpapier hervor und einen dicken Klumpen Haschisch. Issn das? Was? Das. Der Polizist hielt ihm das Zigarettenpapier hin. S., irrititert: Zigarettenpapier? Und das? Jetzt hielt er ihm das Haschisch vor die Nase. So eine Art Wachs, sagte S. Das brauche ich zum Zukleben. Hm. Der Polizist blieb skeptisch. Schließlich stopfte er die Sachen zurück. Krank, der Westen. Bei uns gab es die Zigaretten immer schon fertig.“
Wie gefällt es?
Wer es nicht erlebt hat, kriegt von Peter Richter in „89/90“einen authentischen Überblick, wie es für viele war. Die Perspektive des endpubertierenden Jugendlichen, die ironische Erzählhaltung, die Liebe zum Detail und zur Pointe, der unerschöpflich blubbernde Erzählfluss – das alles macht diesen Roman für mich sehr lesenswert. Ich habe viel gelernt und wurde prächtig unterhalten.

hr-iNFO

19,99 € inkl. MwSt.
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gebundenes Buch, 411 S.
Sprache: Deutsch
Luchterhand Literaturverlag
ISBN: 9783630874623

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